Verschärfte Produkthaftung: Das kommt auf Unternehmen zu

Erweiterte Verbraucherrechte, Einbeziehung digitaler Produkte und die gerechte Verteilung von Risiken: Das sind die Ziele der neuen EU-Produkthaftungsrichtlinie. Welche Neuerungen auf Handel, Herstellerinnen und Hersteller zukommen, beleuchten wir im Artikel.

Ziele der neuen Richtlinie

Die fortschreitende Digitalisierung hat die Bandbreite der Produkte und Technologien erweitert. Diese will die neue Richtlinie zur Produkthaftung mit einbeziehen. Neu entstandene Lieferketten machen es außerdem erforderlich, Akteurinnen und Akteure wie E-Commerce-Plattformen in der Gesetzgebung zu berücksichtigen.

Das übergeordnete Ziel ist die Förderung des EU-Binnenmarkts. Das wird realisiert durch erhöhten Verbraucherschutz, gelockerte Haftungsbeschränkungen und verstärkte Haftungsrisiken auf Seiten der Unternehmen. Somit wird die Produkthaftung gleich auf mehreren Ebenen verschärft – sowohl sachlich als auch persönlich und finanziell.

Die wichtigsten Änderungen

Die neue Richtlinie enthält Änderungen, die neue Risiken und haftungsrechtliche Fragen ergeben.

Betroffene wirtschaftliche Akteurinnen und Akteure (Artikel 7)

Hier geht die neue Produkthaftungsrichtlinie stufenartig vor:

  • 1. Stufe: (Quasi-)Herstellerinnen und -Hersteller

Das betrifft zum Beispiel Herstellerinnen und Hersteller von Zulieferteilen, die in ein Produkt integriert oder mit diesem verbunden werden. Wichtig ist, dass dieser Vorgang unter der Kontrolle der Herstellenden erfolgt. Auch Personen, die das Produkt außerhalb der Kontrolle der Herstellerin oder des Herstellers wesentlich verändern, fallen unter diese Stufe.

  • 2. Stufe: Importeurinnen, Importeure, Bevollmächtigte der Herstellenden im Sinne des Produktsicherheitsrechts

Diese Stufe gilt, wenn die Herstellerinnen und Hersteller nicht in der EU sitzen.

  • 3. Stufe: Händlerinnen und Händler, Betreiberinnen und Betreiber von Online-Verkaufsplattformen

Die dritte Stufe tritt in Kraft, wenn innerhalb der EU kein Haftungssubjekt nach den Stufen eins und zwei greifbar ist.

Exkurs: Was sind Quasi-Herstellerinnen und -Hersteller?

Quasi-Herstellerinnen und -Hersteller sind Personen, die Waren im großen Stil einkaufen, diese mit einem Logo oder einer Marke kennzeichnen und anschließend weiterverkaufen. Für Käuferinnen und Käufer ist dabei nicht ersichtlich, dass diese Personen das Produkt nicht hergestellt haben.

Gemäß Produkthaftungsrichtlinie gilt der Quasi-Hersteller genauso als Hersteller, wie der „richtige“ Hersteller und haftet demnach auch für Fehler des Produktes.

Produkthaftpflicht für Quasi-Herstellerinnen und -Hersteller

Bei exali.at können sich Quasi-Hersteller im Rahmen der Produkthaftpflicht der Webshop-Versicherung mit der Erweiterung für Quasi-Hersteller/Importeure (kurz QHI) absichern. Als Quasiherstellerin oder -hersteller gilt jede Person, die Waren von außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums importiert – unabhängig davon, ob diese umgelabelt werden oder nicht. Die QHI-Versicherung können Sie nur in Verbindung mit der Produkthaftpflicht-Versicherung abschließen. Wenn Sie im exali.at Online-Antrag die Produkthaftpflicht abwählen, können Sie auch den Zusatzbaustein QHI nicht hinzubuchen. 

Erweiterter Produktbegriff (Artikel 4)

Die neuen Vorgaben sollen das Thema Produkthaftung ins Digitalzeitalter holen. Dafür wird der Begriff des Produkts auf Software und digitale Fertigungsdateien erweitert. Nun umfasst der Produktbegriff alle beweglichen Güter, auch wenn diese in eine andere bewegliche oder unbewegliche Sache integriert oder damit verbunden sind.

  • Elektrizität
  • digitale Bauunterlagen wie Dateien für den 3D-Druck
  • Software (auch KI) ausgenommen nicht kommerziell oder Open Source
  • Rohstoffe wie Wasser

Erweiterter Fehlerbegriff (Artikel 6)

Der Katalog möglicher Fehlerumstände wird durch die Richtlinie ergänzt. Dazu gehören neben sogenannten vorhersehbaren Kombinationsrisiken von zwei Produkten und die Auswirkungen erlernter Fähigkeiten bei KI-Systemen:

  • Anforderungen an die Produktsicherheit (inklusive Cybersicherheit)
  • Rückrufaktionen und andere Eingriffe durch Marktüberwachungsbehörden
  • Spezifische Anforderungen einer Nutzergruppe (das ist zum Beispiel bei lebenserhaltenden Medizinprodukten der Fall)

Dient ein Produkt dazu, Schaden zu vermeiden und verfehlt diesen Zweck, gilt auch das als Produktfehler (Rauchmelder oder Ähnliches). Bei smarten Produkten kommt es beim Festlegen des Fehlerbegriffs auf den Zeitpunkt an, ab dem sich ein Produkt nicht mehr unter der Kontrolle des Herstellers befindet.

Erweiterter Schadensbegriff (Artikel 5a)

Zu Personenschäden gehören dank der neuen Richtlinie auch medizinisch anerkannte psychische Schäden. Auch Schäden durch den Verlust oder das Verfälschen von Daten werden nun erfasst.

Wegfall der Haftungsgrenzen (Artikel 10)

Künftig soll bei Haftungsfragen stets ein europäisches Unternehmen in der Verantwortung stehen, zum Beispiel Herstellerinnen, Hersteller oder Importeurinnen und Importeure. Das gilt auch, wenn ein Produkt außerhalb der EU erworben wurde. Gibt es Fälle, in denen das nicht funktioniert, sollen die Mitgliedsstaaten über Entschädigungssysteme für Schadenersatz aufkommen.

Für Personenschäden gibt es künftig keine Haftungshöchstgrenzen mehr. Auch der Selbstbehalt bei Sachbeschädigungen entfällt. Das heißt die oder der Geschädigte muss Schäden bis zu einer bestimmten Höhe nicht mehr selbst tragen.

Grundsätzlich sollen Herstellerinnen und Hersteller nicht länger haften, wenn ein Fehler beim Inverkehrbringen eines Produkts noch nicht bestanden hat. Eine Ausnahme bildet Software, die weiterhin Herstellerkontrolle unterliegt. Wird beispielsweise versäumt, notwendige Updates bereitzustellen, besteht weiterhin Haftung.

Tipp:

Händlerinnen und Händler, die auf Amazon verkaufen, benötigen eine zusätzliche Haftpflichtversicherung. Worauf es dabei ankommt, lesen Sie hier: Amazon fordert Haftpflichtversicherung: Was Händler jetzt wissen müssen.

Verlängerte Verjährungshöchstfrist (Artikel 14)

Sobald Betroffene einen Schaden an einem Produkt feststellen, beginnt eine reguläre Verjährungsfrist von drei Jahren. Wird ein Produkt dagegen mit einer wesentlichen Veränderung in Verkehr gebracht, besteht weiterhin eine Höchstfrist von zehn Jahren. Für gesundheitliche Spätschäden wurde die Verjährungshöchstfrist auf 25 Jahre verlängert.

Offenlegungspflicht (Artikel 8)

Ist der Antrag einer geschädigten Person vor Gericht erfolgreich, müssen Unternehmen alle Beweismittel offenlegen, sobald dies notwendig und verhältnismäßig ist. Dazu müssen Geschädigte Tatsachen vortragen und Beweismittel vorlegen, um die Plausibilität eines Schadenersatzanspruchs zu untermauern.

Erleichterte Beweislast (Artikel 9)

Erleiden Verbraucherinnen oder Verbraucher Schaden durch ein Produkt, steht ihnen eine Entschädigung zu. Geht es nach dem Willen des EU-Parlaments, soll das künftig noch einfacher gehen – und zwar auch bei immateriellen Schäden.

Bisher mussten Kundinnen und Kunden Mängel an einem Produkt sowie den daraus entstandenen Schaden nachweisen. Das soll nun leichter werden, gerade wenn ein Produkt technisch so komplex ist, dass ein Nachweis dadurch erschwert wird.

Hält sich ein Unternehmen nicht an die Offenlegungspflicht nach Artikel 8, wird vor Gericht automatisch vermutet, dass ein Produkt fehlerhaft ist. Bei fehlertypischen Schäden wird zudem ein Kausalzusammenhang vermutet. Ist der Fall komplexer, muss der Produktmangel erst plausibel erklärt werden.

Konsequenzen für Unternehmen

Die Produkthaftungslinie macht Akteure haftbar, die vorher nicht betroffen waren. Dazu gehören verändernde Herstellerinnen und Hersteller, deren Bevollmächtigte, Fulfillment-Dienstleisterinnen und –Dienstleister sowie Betreibende von Online-Verkaufsplattformen. Sie alle müssen sich nun auf das Risiko von Schadenersatzansprüchen einstellen. In die gleiche Kerbe schlagen der überarbeitete Fehlerbegriff und die erweitere Haftung. Kommt es zu Haftungsprozessen, werden sich die Erfolgsaussichten für Unternehmen aufgrund der Offenlegungspflicht erheblich verschieben – denn die neue Gesetzgebung sorgt quasi für eine Umkehr der Beweislast. Wer der Offenlegungspflicht nicht folgt, geht das Risiko ein, den Prozess aufgrund der Beweisvermutungen in Artikel 9 zu verlieren.

Betroffene sollten die Risiken innerhalb Ihrer Lieferkette noch einmal genau betrachten und einer neuen Bewertung unterziehen. Passen Sie falls erforderlich Ihren Versicherungsschutz an und verteilen Sie bei Bedarf Verantwortlichkeiten neu. Sind die Formalitäten zwischen EU-Rat und -Parlament geklärt, gilt die Richtlinie voraussichtlich spätestens 2026. Bis dahin sollten Betroffene ihre Verpflichtungen kennen und erfüllen.